Samstag, 4. November 2017

Atomare Scheingefechte...

von Thomas Heck...

Als gäbe es nicht Streitpunkte genug in einer möglichen Jamaika-Koalition. Themen, die die Existenz und den Fortbestand Deutschlands betreffen und diese Themen sind sicher nicht das Klima. Ein weiterer potenzieller Streitpunkt in den Jamaika-Sondierungen, an den kaum jemand denkt: die etwa 20 US-Atombomben in Deutschland. Vor allem die Grünen setzen sich für den Abzug ein und hoffen auf die FDP als Verbündeten. Anti-Amerikanismus kommt immer gut an.

Trutzig thront die Reichsburg über dem romantischen Moseltal, darunter liegt eine pittoreske Altstadt mit Fachwerkhäusern: Cochem - beschaulicher Touristenmagnet. Nur rund 16 Kilometer entfernt lagern in der Eifel die Überbleibsel des nuklearen Wettrüstens: Auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel stehen rund 20 amerikanische Atombomben bereit - für einen kaum denkbaren Ernstfall. Dann sollen "Tornado"-Jets der Luftwaffe die US-Bomben über dem Gegner abwerfen.



"Nukleare Teilhabe" nennt sich dieses Prinzip. Dabei stellt Deutschland mit den Kampfflugzeugen die sogenannten Trägersysteme, die Bomben bleiben aber unter Kontrolle des US-Präsidenten. Ähnlich wird das in den Niederlanden, Italien, Belgien und der Türkei gehandhabt.

In den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition könnte es darum nun erheblichen Streit geben, denn vor allem die Grünen setzen sich seit Jahrzehnten massiv für den Abzug der US-Nuklearwaffen aus Deutschland ein.

Bei den Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen ist das dann auch Thema gewesen. Ein Papier zu den Sondierungen in Sachen internationaler Politik, das am Freitag vorgelegt wurde, kann den Mangel an Einigkeit nur schlecht maskieren. Unter der Überschrift "Deshalb wollen wir in den Sondierungsgesprächen insbesondere folgende Fragen weiter besprechen" findet sich neben den heiklen Themen Kampfdrohnen und Wehretat auch diese Zeile: "Die Frage der nuklearen Teilhabe und des UN-Atomwaffenverbotsvertrages". Die Kanzlerin hielt und hält von einem Abzug der amerikanischen Nuklearwaffen und einem Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe allerdings nichts.

Als 2009 der damalige FDP-Parteichef und Bundesaußenminister Guido Westerwelle ebenfalls vehement für einen Abzug stritt, ließ Merkel den Amerikanern in vertraulichen Gesprächen signalisieren, es werde sich an der "nuklearen Teilhabe" nichts ändern. Dies ist in den vertraulichen Berichten der US-Botschaft in Berlin an das Außenministerium in Washington nachzulesen, die von der Enthüllungsplattform WikiLeaks veröffentlicht wurden. An Merkels Einstellung hat sich dem Vernehmen nach nichts geändert. Und das sollte auch im deutschen Interesse sein, denn die Atomwaffen sind eben kein Ziel für Russland.

Herzensangelegenheit für die Grünen

Für die Grünen ist der Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland eine Herzensangelegenheit - schon, weil die Partei ihren Ursprung in der Friedensbewegung hat. Nun wittert sie eine günstige Gelegenheit, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu bringen. "Das ist für uns ein sehr wichtiger Punkt", betont Omid Nouripour, Außenpolitikexperte der Partei, im Gespräch mit tagesschau.de: "Wir werden das auch mit großer Kraft voranbringen und ich erwarte, dass wir in der FDP einen Partner haben. Die FDP hat dasselbe Thema 2009 auch in die Koalitionsverhandlungen hineingebracht und ist mit einem Prüfauftrag rausgekommen, der aber nicht wirklich umgesetzt wurde. Jetzt können wir zusammen darauf dringen, dass es passiert."

Doch die Liberalen haben ihre Haltung inzwischen geändert. Als SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Wahlkampf den endgültigen Abzug forderte, entgegnete Parteichef Christian Lindner, dass man darüber heute nicht so einfach sprechen könne. Er verwies auf eine angeblich veränderte Sicherheitslage durch die vermeintliche Aggression Russlands. Putin habe "gegen alle Verträge", so Lindner im Wahlkampf, neue atomar bestückte Marschflugkörper nachgerüstet. Nouripour lässt das nicht gelten. Das Argument des veränderten Sicherheitsumfeldes werde immer angeführt, verkenne aber den Kern des Gedankens, dass "wenn wir deeskalieren wollen, brauchen wir Vertrauensvorschuss bei diesem weltbewegenden Thema."

Um Vertrauen geht es auch der Union - allerdings in der NATO. Ein Ausstieg aus der "nuklearen Teilhabe" könne einen großen Vertrauensverlust bei den europäischen Partnern zur Folge haben, befürchtet CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn: "Das würde sehr schwer wiegen und insgesamt auch das Bündnis schwächen."

So sahen das bislang wohl alle Regierungschefs in Bonn und Berlin und hielten stillschweigend an der "nuklearen Teilhabe" fest. Über die werden auch sonst nur wenige Worte verloren. Auf Fragen zu Zahl und Stationierungsort der Atomwaffen folgt in der Regel nur eisiges Schweigen. Außenminister Sigmar Gabriel räumte in einem Interview kürzlich nur so viel ein: "Es gibt in Deutschland Atomwaffen unter amerikanischer Kontrolle. Das ist auch kein Geheimnis." Und dennoch wird es so behandelt. Vielleicht weil die "nukleare Teilhabe" nicht unproblematisch ist. Mancher Kritiker glaubt, Deutschland unterlaufe damit seine Selbstverpflichtung, für immer auf Atomwaffen zu verzichten.

Trotzdem bekannte sich die Große Koalition im Weißbuch zur Sicherheitspolitik 2016 noch ausdrücklich zu dem Prinzip US-Bomben an deutschen Flugzeugen. In dem Papier heißt es: "Die NATO ist weiterhin ein nukleares Bündnis. Deutschland bleibt über die 'nukleare Teilhabe' in die Nuklearpolitik und die diesbezüglichen Planungen der Allianz eingebunden." Das segnete seinerzeit auch die SPD so ab.

Militärisch dürfte die Abschreckungsfähigkeit der NATO nicht von 20 US-Atombomben in Deutschland abhängen, es geht also vor allem um ein politisches Signal. Nicht nur Richtung Russland und NATO, sondern auch an die eigene Wählerschaft. CSU-Mann Hahn setzt dennoch auf eine Einigung in den Koalitionsverhandlungen: "Ich kann mir am Ende des Tages nicht vorstellen, das wir an dieser Frage tatsächlich eine Koalition scheitern lassen würden." Denn allen Beteiligten dürfte klar sein, was ein Scheitern bedeutet: Neuwahlen. Und die will aktuell wohl keine der beteiligten Parteien und nicht mal die Opposition. Es zeigt aber auch die Nebelkerzen, die in den Sondierungen gezündet werden, wo über alles gesprochen wird, die aber wirklich existenziellen Themen ausgeklammert werden. 

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